Ein starker Rücken kann Golfer entzücken
Zitat: „Vor 120 Jahren hatten die Menschen noch ganz andere Sorgen, denn da starb man in Hamburg noch an Cholera.“
Mitten in einem der schönsten Innenstadt-Spots Hamburgs, besuchen wir in der Klinik Fleetinsel den Wirbelsäulen-Spezialisten Dr. Michael Muschik. Er ist mehrfach als „Top Mediziner“ in der Ärzteliste des Wochenmagazins FOCUS aufgeführt und leitete 10 Jahre die Kinderorthopädie der Berliner Charité. Passend zu dem entspannten Ambiente der schicken Räumlichkeiten am Fleet entwickelt sich ein angenehm entschleunigtes Gespräch rund um das Thema „Rückenprobleme“. Dr. Muschik setzt auf Prävention statt Intervention...
GM: Herr Dr. Muschik, ist der Rücken wirklich die Schwachstelle des modernen Körpers, und liegt es tatsächlich an der mangelnden Bewegung unserer Spezies?
Dr. Muschik: Ja, bei mangelnder Bewegung stimme ich zu. Vor allem, wenn man bedenkt, dass der Bewegungsapparat des Menschen dafür ausgelegt wurde, ca. 10 Kilometer am Tag zu gehen. Das kann man sogar sehr gut an dem Besiedlungsverlauf Nord- und Südamerikas beobachten – man sieht dort, dass die Menschen etwa 10 Kilometer am Tag zurücklegten. Ähnlich sieht es bei Infanteristen zu Zeiten der Feldzüge aus. Und selbst ein deutscher Arbeiter, hatte noch um 1880-1900 durchschnittlich 7-8 km Fußweg pro Tag zur Fabrik. Das scheint einfach die Strecke, das Pensum zu sein, bei dem es den Menschen gut geht. Bis vor 100 Jahren wurde es so gelebt. Erst mit Erfindung des Automobils begann der Mensch stillzusitzen. Eine Untersuchung in einer großen deutschen Behörde wurde vor einigen Jahren abgebrochen, weil man auf einen Durchschnittswert von 700m pro Tag und Mitarbeiter zusteuerte. Das dokumentiert eindrucksvoll das ganze Dilemma.
GM: Wie kann man dem entgegenwirken?
Dr. Muschik: Da muss sich schon jeder selbst disziplinieren. Es ist halt nur wichtig, sich das Problem zunächst vor Augen zu führen. Ich selbst benutze übrigens seit einiger Zeit meine Handy App, die mir sagt, wie viele Schritte ich pro Tag zurückgelegt habe. Sozusagen mein „digitaler Schweinehund“ (lacht).
GM: Rund 100.000 Operationen an Bandscheibenvorfällen per anno, 30 % aller bundesweiten Krankschreibungen aufgrund von „Rücken“, ca. 50000 Frühberentungen und Kosten der Rückenschmerzbehandlung in Höhe von 4,5 Milliarden Euro – wie viel davon ist vermeidbar?
Dr. Muschik: Bandscheibenerkrankungen setzen zunächst einmal eine Wohlstandgesellschaft voraus, denn sie sind ja erst in den letzten 120 Jahren in den Fokus der Medizin gerückt. Vor 120 Jahren hatten die Menschen noch ganz andere Sorgen, denn da starb man in Hamburg noch an Cholera. Zudem lief man zu Fuß und litt weniger unter Übergewicht. Aber auch moderne Diagnostik und der heutige Wille, dass es einem rundum gut geht, trägt natürlich dazu bei, dass sich hier ein immens großes medizinisches Feld entwickelt. Das Wort vermeidbar korreliert dabei immer mit eigener Motivation.
GM: Was sind aus Ihrer Sicht die golfspezifischen Rückenbeschwerden?
Dr. Muschik: Solange man den Golfschwung korrekt ausführt und Gymnastik zur Stärkung der Rumpfmuskulatur bzw. Ausgleichssport betreibt wird man wenig Probleme haben. Problematisch wird es, wenn Sie immer im Hohlkreuz oder Rundrücken schlagen oder nicht durchschwingen und permanent blocken. Wichtig ist dabei, dass körperliche Schwächen nicht mit technisch perfektionistischem Schwunggedanken des Spielers oder Pros kollidieren. Die Pros sollten die Schwächen der Beweglichkeit erkennen und dem Spieler einen für ihn machbaren Schwung lehren.
Ich würde aber den reinen Schwung vom Problem des Gehens trennen. Viele Golfer schaffen die knapp 8 km Laufstrecke einfach nicht mehr und das ist dann ein manifestes Problem, auf das man ganz anders schauen sollte. Häufig hängt das mit einer Verengung des Wirbelkanals zusammen, an dem der Golfschwung gar nicht schuld ist. Im Gegenteil, der Golfsport ist rein von der zu bewältigenden Laufstrecke eine ideale Sportart für unseren Körper. Das liegt ja nah an den schon erwähnten 10 km pro Tag.
GM: Welches sind denn in Sachen Wirbelsäule die typischen Diagnosen in einem Schwung- oder Wurfsport?
Dr. Muschik: Die Hauptschuldigen sind häufig die Wirbelgelenke oder Bandscheiben. Die Gelenke nutzen sich im Laufe des Lebens ab. Dort werden dann knöcherne Zacken gebildet, die wiederum Schmerzen verursachen. Auch Nerven spielen eine Rolle. Sie kennen ja sicherlich den Ischiasnerv. Dieser kann bspw. durch die eben genannten Zacken gereizt werden und Schmerzen verursachen.
Was ich häufig höre ist, dass Golfer behaupten, eine Verletzung am Iliosakralgelenk (ISG) zu haben. Das ist aber eher eine Verlegenheitsdiagnose, denn das ISG-Gelenk ist eines der stärksten Gelenke, die wir im Körper haben. Es ist enorm fest verankert, und eine Verletzung würde dann einer Noteinweisung gleich kommen. Es handelt sich hier meistens um Funktionsstörungen, die ihren Ursprung eher an den kleinen Facettengelenken der unteren Wirbelsäule haben.
GM: Was kann denn aus medizinischer Sicht der Pro korrigieren?
Dr. Muschik: Zunächst einmal können ja nur sie selbst ihren Schwung korrigieren. Der Pro wird aber die oben genannten Muster sofort erkennen und gegensteuern. Dafür sind die Golflehrer heutzutage allesamt ausgebildet. Aus meiner Sicht sollte dies auch zunächst im Vordergrund des Unterrichts stehen, damit sich diese groben Fehler im Bewegungslauf nicht manifestieren und dann zu einer Chronifizierung einzelner Probleme führt. Als Arzt ist mir dabei das Abrücken vom Perfektionsstreben wichtig!
Wichtiger ist aber, dass Sie sich selbst um ein gutes Gymnastik-Programm zur Stärkung der Rumpfmuskulatur kümmern. Das kann Ihnen niemand abnehmen, ist aber essentiell bei Golfern. Golf ist ein Sport, bei dem die Facettengelenke der Wirbelsäule (sie steuern die Beweglichkeit) enormen Drehkräften ausgesetzt sind. Da muss man fit im Rücken sein.
GM: Und welche Übungen sollte man dort in Betracht ziehen?
Dr. Muschik: Auf jeden Fall alle Übungen, die den Rückenstrecker trainieren. Zudem die seitlichen und vorderen Bauchmuskeln. Sie müssen sich das wie einen rundum laufenden Stützgurt vorstellen. Und natürlich die Beweglichkeit. Da reichen auch 10 Minuten täglich aus. Wichtig ist mir die Formel „lieber regelmäßig wenig, als komprimiert viel“.
ZITAT: „Die meisten Hobby-Golfer schwingen einfach nur aus dem Oberkörper und verwinden die Wirbelsäule dabei zu sehr.“
GM: Wie sieht es mit dem leidigen Thema Aufwärmen aus? Wir Golfer zeichnen uns ja nicht gerade dadurch aus, ein 15-minütiges Warm-up vor der Runde zu zelebrieren...
Dr. Muschik: Genau das bräuchte es aber. Es ist erschreckend zu sehen, wie das Gros der Golfer direkt vom Parkplatz an den Abschlag geht und den Driver zückt. Ohne Probeschwünge, einschlagen oder gymnastische Vorbereitung. Das ist Gift für Muskeln und Gelenke. Jeder hat doch im Büro 10 Minuten Zeit sich kurz ein wenig zu mobilisieren. Einige Rumpfbeugen und etwas Dehnen, frei nach Turnvater Jahn, reichen doch schon aus.
GM: Wie könnte man sich denn einen gesunden Ablauf eines Golfschwungs bildlich darstellen?
Dr. Muschik: Wie eine kinematische Kette – die kennen Sie alle von einem Ballwurf, oder dem Steinwurf am Meer, der möglichst oft von der Wasseroberfläche abprallen soll. Am wichtigsten dabei ist das berühmte „Hüfte mitnehmen“. Viele Golfer schwingen einfach nur aus dem Oberkörper und verwinden die Wirbelsäule dabei viel zu sehr. Kurzum, werfen Sie als medizinisches Schwungbild Steine am Strand. Und nochmals: legen Sie den Perfektionsgedanken dieser ganzen Ebenen-Bilder in Videoaufnahmen ad acta – sie führen schlimmstenfalls zu Schmerzen und zerbröseln optisch das Selbstvertrauen, weil man ja immer ein anderes Schwungbild von sich selbst herumträgt (lacht).
GM: Soll man die Tasche nun tragen oder auf dem Wagen ziehen, oder schieben?
Dr. Muschik: Da muss ich wieder zu den Siedlern zurück. Früher waren Menschen noch trainiert, und auch gewohnt schwere Sachen auf dem Rücken zu tragen. Das sind wir heute nicht mehr. Tragen kann ja durchaus einen trainierenden Effekt haben, solange Sie nicht einseitig tragen, sondern über ein verteilendes Gurtsystem verfügen. Zudem sollte die Tasche nicht zu schwer sein. Aber ein vollständiges Golfset mit Bällen etc. ist eigentlich zu schwer. Meiner Meinung nach sind Trolleys schonender, allerdings tendiere ich hier ganz klar zum Ziehen statt zum Schieben. Das ist mathematische Vektorrechnung: beim Schieben drücke ich die Kraft ja ein wenig nach unten in den Boden, während ich beim Ziehen anhebe und mehrere, kraftverteilende Muskeln daran beteiligt sind.
GM: Stimmt es, dass sich nach dem 60-ten Lebensjahr die Bandscheiben verfestigen?
Dr. Muschik: Na ja, das ist immer so die landläufige Hoffnung (lacht). Da wird dann den 50-jährigen gesagt „warten Sie mal 10 Jahre, dann verflüchtigen sich ihre Rückenschmerzen.“ Das sind vor allem die Sprüche der Universitätsprofessoren vor 30 oder 40 Jahren, als man an der Wirbelsäule noch nicht soviel gemacht hat. Es stimmt aber nur eingeschränkt. Es handelt sich dabei um eine Verknöcherung, also Versteifung, und diese kann bei manchen tatsächlich zu einer Erleichterung führen, nur bei anderen hat es ein erhebliches Verschieben der Wirbel zur Folge. Man vermutet heute, dass der Körper damit versucht, die abgenutzten Bandscheiben ein wenig zu unterstützen. Aber immer um den Preis, dass sie weniger beweglich sind. Kurzum, ein zweischneidiges Schwert...
GM: Wie sieht es mit Osteoporose aus? Ist Golf dafür geeignet?
Dr. Muschik: Es wirkt durch die viele Bewegung ja dem Knochenabbau entgegen, also klares ja. Zudem wirkt ein optimaler Vitamin D-Spiegel auch Osteoporose entgegen – und wo kann man mehr Vitamin D einsammeln als auf einer vierstündigen Runde Golf?
GM: Was ist denn schlussendlich die Lösung wenn nichts mehr hilft? Wenn Prävention und konservative Therapien nicht anschlagen?
Dr. Muschik: Das hängt natürlich zunächst von der Art der Beschwerden ab. Und auch von dem Leidensdruck des Patienten. Sie können einen Menschen mit monatelang quälendem Bandscheibenvorfall natürlich auch durch eine Operation erlösen. Ich würde also Operationen nicht per se verteufeln. Sicherlich ist Prävention das Gebot der Stunde, aber ich kann jemanden der bereits Lähmungserscheinungen hat nicht im Rollstuhl zum Yoga schicken. Die Verhältnismäßigkeit sollte dann mit dem Patienten sorgfältig abgewogen werden. Die meisten Patienten kommen nur leider erst dann, wenn der Leidensdruck bereits zu groß geworden ist.
ZITAT: „Ich kann einen Patienten mit Lähmungserscheinungen ja nicht im Rollstuhl zum Yoga schicken.“
GM: Wird auch an der Wirbelsäule mittlerweile schonend, also minimalinvasiv operiert?
Dr. Muschik: Natürlich wird so schonend wie möglich operiert, aber, auch hier sollte man vernünftig agieren. Ein kleiner Hautschnitt mit riesiger Wunde darunter führt nur zu noch mehr Problemen. Vergleichen Sie es mit dem Handwerker, der zum Wasserrohrbruch gerufen wird. Der wird ja, wenn das Wasser bereits 10cm hoch im Zimmer steht, nicht am Schlüsselloch stehen und versuchen mit einem Schlauch von dort aus das Problem zu beheben. Er wird sicherlich die Tür öffnen und direkt den Wasserhahn nebst Rohr reparieren (lacht). Verstehen Sie mich nicht verkehrt, aber man darf nicht nur um die Methoden zu heiligen, unvernünftig werden.
Was man sicherlich sagen kann ist, dass man die ganze Implantatchirurgie (versteifen der Wirbelsäule, Anm. d. Red.) wieder etwas zurückhaltender bewertet wird. Das wurde in den 1990er Jahren sehr exzessiv gemacht. Sicherlich gibt es Krankheitsbilder, bei denen man größere stabilisierende Operationen ausführen muss, aber die großen Eingriffe werden doch wieder häufiger vermieden, zumal die Ergebnisse manchmal nicht so sind, wie man sich das damals erträumt hatte.
GM: Gibt es auf dem medikamentösen Gebiet Neuigkeiten?
Dr. Muschik: Ibuprofen und Diclofenac sind ja jedem Rückengeschädigten bekannt, aber ich muss sagen, dass diese Mittel auch heute noch erste Wahl sind. Ich möchte aber auch die kurzfristige Gabe von Cortison nicht so verteufeln. Es besteht ja die landläufige Meinung, dass man davon sofort dick werden und einen Stiernacken entwickeln würde, dem ist aber nicht so. Das sind allenfalls Fälle aus hochdosierten Dauerbehandlungen. Das wäre so, als wenn sie nach einem Glas Champagner Angst hätte, als Alkoholiker hier unter der Fleetbrücke dahin zu vegetieren. (lacht)
Cortison wird im Körper produziert und kann durch kurze, gezielte Abgabe hervorragende Erleichterungen verschaffen. Die meisten Ärzte sehen Cortison als ein ganz wunderbares Medikament an, das Patienten, punktuell und niedrig dosiert, die beschwerdefreie Teilnahme an besonderen Lebens- oder Sportereignissen ermöglichen kann.
GM: Wir danken für dieses informative Gespräch und wünschen einen gesunden Saisonstart!